Ähnlichkeiten mit der Marke, die uns hier am Herzen liegt sind rein zufällig und nicht beabsichtigt
Gier frisst Hirn bei KTM: Bericht von hinter der Bezahlschranke:
Man habe aufgrund der hohen Nachfrage während der Pandemie die Jahresproduktion in Mattighofen auf über 200.000 Stück hochgefahren - und es später dabei belassen. Doch dann ging die Nachfrage wieder zurück, und KTM stand plötzlich mit viel zu vielen Motorrädern da, speziell des Baujahrs 2023. Nun kamen die Händler ins Spiel: Sie sollten die überzähligen Motorräder abverkaufen. Bis zu 30 Prozent Rabatt gab es im Sommer 2024 auf die 2023er-Modelle, mit der Folge, dass die 2024er-Modelle stehen blieben. Um sie loszuwerden, gibt es nun wieder einen Nachlass, diesmal 19 Prozent, die Käufer zahlen praktisch keine Mehrwertsteuer. Das alles kostet Geld. Zum einen wegen der finanziellen Unterstützung der Händler, die solche Preisnachlässe nicht stemmen können, zum anderen etwa durch die Standgebühren: Allein bei einer deutschen Spedition sollen noch rund 8.000 der 2023er-Modelle stehen, für die KTM pro Monat je 15 Euro zahlen muss - das summiert sich, zumal es in anderen Ländern ähnlich aussieht. Weltweit sind es laut KTM-Insolvenzantrag rund 130.000 Motorräder, die KTM mitsamt Tochtermarken 2023 nicht absetzen konnte.
Als Gründe für die schwächelnde Nachfrage nennt ein Händler, der namentlich nicht genannt werden möchte, die zu hohen Preise: "Jedes Jahr fünf Prozent teurer und immer 2.000 Euro mehr als die Konkurrenz - das rächt sich. Vor allem, wenn gleichzeitig bekannt wird, dass einige Modelle technische Probleme haben, etwa beim Kabelbaum." Auch die gehen auf die Überproduktion zurück, denn Mattighofen ist nur auf rund 160.000 Motorräder pro Jahr ausgelegt. Wird mehr gebaut, kommt es zwangsläufig zu Ungenauigkeiten.
Dass Pierer ein echter Visionär ist, bestreitet niemand. Doch es gibt auch zweifelhafte Entscheidungen des Unternehmers. Etwa die, Motorräder von drei Marken - KTM, Husqvarna und GasGas - anzubieten, die sich im Grunde nur durch die Lackierung unterscheiden.
Für Kopfschütteln in der Industrie sorgte auch der Deal mit CFMoto. Nicht nur, dass man gemeinsame Entwicklungen betreibt und etliche Mittelklasse-Modelle von den Chinesen fertigen lässt - KTM macht auch den Europa-Vertrieb für CFMoto und holt sich damit eine deutlich günstigere Konkurrenz, oft mit gefälligerem Design, selbst ins Haus. Und dass der indische Partner Bajaj 2007 mit 14,5 Prozent bei KTM einstieg, inzwischen aber knapp die Hälfte hält, kann man als immer höheren Finanzbedarf deuten.
Die eigentliche Ursache für die Krise dürfte aber im zu schnellen Wachstum liegen. Von 2011 bis heute hat sich die Beschäftigtenzahl in Mattighofen verdreifacht, Jahr für Jahr wurden Rekordumsätze und -gewinne gemeldet. Dann reichte ein Fehler - Pierer und seine Manager schätzten die Nachfrageentwicklung falsch ein. Die nicht verkauften Motorräder binden nun das Kapital, das anderswo fehlt, zudem stiegen die Kreditkosten. Das alles zusammen führte zu einer regelrechten Schuldenexplosion: Waren es Mitte 2022 noch 256,5 Millionen Euro, standen Mitte 2024 satte 1,47 Milliarden Euro Schulden im Finanzbericht. Laut Insolvenzantrag sind es aktuell sogar 1,8 Milliarden. Wie geht es weiter? Das von KTM nun beantragte Insolvenzverfahren sieht vor, dass der Hersteller einen Sanierungsplan vorlegt, in dem den Gläubigern eine Quote von mindestens 30 Prozent angeboten wird, zahlbar in längstens zwei Jahren. Der Vorstand - Pierer selbst und sein neuer Vize Gottfried Neumeister - kann das Unternehmen weiterführen, aber unter Aufsicht eines Insolvenzverwalters, der vom Gericht eingesetzt wird. Die Gläubiger müssen dem Sanierungsplan mehrheitlich zustimmen. Allerdings gibt es noch ein paar Unwägbarkeiten. So scheint es möglich, dass KTM die frisch erworbene Tochter MV Agusta gleich wieder abgeben muss. Auf der Messe in Mailand Anfang November, noch ehe die Krise sich zuspitzte, gab es Gerüchte um ein Interesse des chinesischen Herstellers QJ an MV. Und am MV-Sitz in Varese wurde bereits die bisherige Besitzerfamilie Sardarov gesichtet, die noch 49,9 Prozent an MV hält und offenbar zu retten versucht, was zu retten ist. Ein weiterer Punkt betrifft die Marke Husqvarna, denn der Markenname könnte automatisch an den ursprünglichen Eigner Electrolux zurückfallen, falls der aktuelle Besitzer in Insolvenz geht. Allerdings wohl nicht, wenn weiter Motorräder gebaut werden, was KTM ja vorhat - wenn auch stark gebremst. So wird die Produktion in Mattighofen von Zwei- auf Einschichtbetrieb heruntergefahren und im Januar und Februar 2025 ganz gestoppt, um den Lagerbestand zu reduzieren. Der ist allerdings so hoch, dass Experten mit zwei bis drei Jahren rechnen, ehe sich die Lage wieder normalisiert. Zudem lässt sich nicht vorhersehen, wie die Kunden reagieren - ob sie KTM treu bleiben oder angesichts der Insolvenz lieber zu anderen Marken wechseln.
Den Händlern ging bereits am 27. November ein Schreiben zu, das MOTORRAD vorliegt und in dem ihnen versichert wird, dass alle Abmachungen weiter gelten. Das betrifft vor allem die Boni, denn beim Abverkauf der KTMs blieben den Händlern kaum Gewinnmargen; ohne Boni müssten viele von ihnen um ihre Existenz fürchten. Wie auch immer das finanzielle Abenteuer für KTM ausgeht: Stefan Pierer kämpft zwar nach eigenen Worten um sein Lebenswerk, wird aber in jedem Fall weich landen. Sein Privatvermögen wurde von Forbes 2023 auf 1,5 Milliarden Euro geschätzt.
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