Als erstes versuche ich, die aufgelaufenen Fragen zur Belastung des linken Hauptlagerzapfens und des gesamten Triebstrangs bei Lösen und Anziehen der Wellenmutter zu beantworten. Ich gehe dabei von der "Sperrung mit Flacheisen" aus, die Enrico als 2. Möglichkeit gezeigt hat und die ich im zweiten Post weiter unten in Foto 1 nochmal zeige und mit dem Einsatz des Druckluftschraubers vergleiche.
Grobe Erläuterung für die Nichttechniker unter Euch:
Bitte verabschiedet Euch von der Vorstellung, daß Metalle starr seien. Alle Metalle verformen sich, je nach Werkstoff unterschiedlich, elastisch unter Belastung. Zur Berechnung des Verformungsmasses hat der Techniker das "Elastizitätsmodul" als Kennwert für die elastische Verformung des jeweiligen Metallwerkstoffes erfunden. Das ist also eine Werkstoffeigenschaft, die der Werkstoffhersteller angibt, bzw. beim Herstellern wie Harley, für seine Metallegierungen auch geheimhält. Die Verformung ist übrigens erwünscht, weil sie die durch die Belastung erzeugten Spannungen im Bauteil verteilt. Wirklich nahezu starr sind nur Glas und Keramik, weswegen diese mangels elastischer Weiterverteilung im Bauteil auch zu Spannungsrissen an der belasteten Stelle neigen. Deswegen zerbricht beim Runterfallen ein Porzellansuppenteller, ein Blechnapf hingegen nicht. Die Tatsache, daß Ihr die elastische Verformung bei Bauteilen der hier zu besprechenden Größe, weil zu klein, nicht sehen könnt, sagt noch lange nicht, daß sie nicht da sind. Am besten stellt Ihr Euch vor, alle Wellen und Gehäuse und das Flacheisen wären aus Gummi. Ihr könnt Euch vorstellen, wie die sich beim Lösen und Anziehen der Wellenmutter mit gewaltigem Drehmoment elastisch verbiegen würden.
Foto s 1+2: Was tue ich nun, wenn ich die Wellenmutter auf dem Gewinde des linken Hauptlagerzapfens mit Größenordnungen bis zu 350 Nm (in Worten: DREIHUNDERTUNDFÜNFZIG!!!) löse oder festziehe? Ich leite diese irrsinigen Menge an Drehmoment über die Gewindereibung in den linken Hauptlagerzapfen ein und verdrille ihn bis dahin, wo in den Nuten dahinter das Primärkettenritzel aufgeschoben ist, welches das Drehmoment über die Flanken von Nuten und Gegennuten aufnimmt. Das ist für die Beibehaltung der Präzision der Abmessungen und die Gefahr von Spannungsrissen im linken Hauptlagerzapfen eine extreme Belastung, die ihm ganz sicher nicht guttut. Das Primärritzel wird gleichfalls in sich verdrillt und längt das obere oder je nachdem das untere Kettentrumm elastisch, was den Zähnen von Ritzel, Rad und den Kettenbolzen auch nicht gut tut, denn 350 NM liegen bei weitem über den Belastungen des Fahrbetriebes, sonst würde sich die Wellenmutter im Fahrbetrieb lösen. Da nach dem guten alten Isaac Newton das Drehmoment (actio) sich gegen ein gleich grosses Gegenmoment (reactio) abstützen muß (denn ohne Widerstand kann es gar nicht aufgebracht werden, sondern die Kurbelwelle dreht sich stattdessen) , wird hier die reactio = das Gegenmoment durch die elastische Durchbiegung des Flacheisens (auch hier hoffentlich noch im nichtsichtbaren Bereich, sonst wird's echt gefährlich) erzeugt. Das heißt, das Flacheisen malträtiert gleichfalls einzelne Zähne von Ritzel und Rad (statt im Fahrbetrieb wo das Motormoment übér die Primärkette ca 50% der Zähne gleichzeitig belastet) und verformt gegen die Kette den Kupplungskorb. Durch den Kettenzug der actio biege ich auch noch den linken Hauptlagerzapfen und die Getriebehauptwelle zueinander, soweit deren und die elastische Durchbiegung des Flacheisens das zulassen. Über die Lager dieser Wellen leite ich auch noch ein Biegemoment in die Gehäuse des gesamten Triebstranges: Kurbelgehäuse, Primärgehäuse, Getriebegehäuse. Diese elastische Durchbiegung tut denen auch nicht gut, da die Belastung weit über der durch den Kettenspanner liegen muß, damit sich die Wellenmutter im Fahrbetrieb nicht öffnet. Ab Evo ist durch die Direktverschraubung des Getriebegehäuses mit dem Kurbelhaus die elastische Durchbiegung der Gehäuse zwar deutlich reduziert, aber eben noch lange nicht Null.
Und all das muß ich bis Shovel dem armen Triebstrang alle 10-20000 km zum banalen Wechsel der Sekundärkette antun. Ihr werden heute keinen anderen Triebstrangbauer auf der Welt mehr finden, der diese extreme Belastung bei regelmäßigen Wartungen ausgerechnet den teuersten Bauteilen antut, bei denen die Verformungen im Fahrbetrieb so ausgelegt sind, daß alle Wellen auf das 100ertstel genau fluchten müssen. Wie gesagt, ab Evo streckt die längere Lebensdauer des Sekundärzahnriemens diese Belastungsintervalle, aber ich hätte angesichts dieser grundsätzlich heiklen, archaischen Konstruktion trotzdem nicht den linken Hauptlagerzapfen nicht austauschbar mit der linken Hubscheibe verbunden, nur um ein paar Taler Produktionskosten zu sparen. Und darum ging es hier eigentlich.
Ergänzende Erläuterung für die Techniker unter euch, die es genau wissen wollen:
Foto 3: Die Wellenmutter verdrillt den linken Hauptlagerzapfen nicht nur, sondern sie zieht ihn beim Anziehen auch noch in die Länge wie eine sehr steife Feder, um die Festlagerung der Kurbelwelle in der linken Kurbelwellengehäusehälfte zu erzeugen. Das hubscheibenseitige Kegelrollenlager "Innenlager" (10) sehen wir auch in ...
Foto 2: Davor wird auf den linken Hauptlagerzapfen das primärritzelseitige Kegelrollenlager gesteckt, was in ...
Foto 3: ... "Außenlager" (4) ist, damit die Außenlagerringe (5) und ( 8 ) von beiden in die linke Kurbelgehäusehälfte (9) eingeschrumpft werden können und so die linke Festlagerung der Kurbelwelle erzeugen können. Die Wellenmutter spannt also den linken Hauptlagerzapfen als steife Feder mit seinem Absatz vor der Hubscheibe gegen den Innenlagerring des Innenlagers (10). Und jetzt kommt ein aufwendiger konstruktiver Kniff: Der Distanzring (7) ist um wenige 100erstel mm dicker als der Distanzring (6), womit verhindert wird, dass die gewaltige Zugkraft der Wellenmutter vom Innenlagerring (10) über die Kegelrollen (10) auf den Außenlagerring ( 8 )übertragen wird. Das Lager würde nämlich sonst wegen der irren Reibung, erzeugt durch die irre Fächenpressung der Kegelrollen (10) in ihren Innen- und Außenlagering, sofort heißlaufen, wenn nicht sogar die Rollen oder die Ringe nach wenigen 1000 /min gleich unter der mechanischen Belastung platzen würden. Die Dickendifferenz zwischen der Distanzringen (7) (dicker) und (6) dünner erlaubt dem Ring (7) (in Foto 2 gut vor Innenlager (10) auf dem Lagerzapfen zu sehen), die irre Zugkraft von Lager (10) fernzuhalten, indem es diese direkt vom Innenlagerring von Lager (10) in den Innenlagerring von Lager (4) ableitet. Die Stauchung der Ringe erzeugt wieder die erforderlichere reactio-Zugkraft, gegen die sich die actio - Zugkraft aus Wellenmutter und linken Hauptlagerzapfen abstützt. Der Innenlagerring von Lager (4) stützt sich dazu gegen den Sitzring (2) des Wellendichtringes (3) und die daneben befindliche Nabe des Permanentmagnetrotors der Lima. Die Nabe wiederum, da längsverschieblich auf den Längsnuten des linken Hauptlagerzapfens aufgeschoben, stützt sich über das Primärritzel gegen die mit den irren 350 Nm eingeschraubte Wellenmutter ab. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß der Distanzring (6) auch die Funktion eines Sicherungsringes hat, weil er in einer flachen Nut im linken Kurbelwellengehäuse (9) positioniert ist. Das ist für die exakte Positionierung der Außenlagerringe (5) und ( 8 ) beim Einschrumpfen erforderlich.
Wir halten also fest:
1. Zur Beantwortung der Fragen in den vorstehenden Posts: Der linken Hauptlagerzapfen wird nicht nur bis zum Primärritzel in sich verdrillt, was an sich schon die höchste Belastungsart ist, sondern auch noch zusätzlich bis zum in Foto 3 sichtbaren Bund direkt vor der linken Hubscheibe gewaltig in der Länge vorgespannt. Bei 350 NM ist das eine wahnsinnige kombinierte Belastung aus 2 Belastungsarten, die zu deutlichen Verformungen führen. Damit diese Verformungen maßhaltig den Berechnungen der elastischen Verformung zur Erreichung der notwendige Maße für den Betriebszustand entsprechen, muß das große Drehmoment genau eingehalten werden. Hier haben wir sozusagen die erste Schwachstelle, an der Pfuscher bei Sekundärketten.- oder Zahnriemenwechsel viele schleichende Schäden vorprogrammieren können.
2. Als zusätzliches Learning für Neulinge, die sich einen Motor aufbauen lassen oder einen neuaufgebauten kaufen wollen: Es gibt noch eine zweite Schwachstelle, die diese Konstruktion dem Pfuscher schutzlos ausliefert: Wie schon erwähnt, muß die Stauchung der Innenringe und von Distanzring (7) selbst durch die reactio-Druckspannung ein ganz präzises Maß haben, um die wahnsinnige Druckspannung von den Kegelrollen (4) und (10) und ihren Laufflächen auf ihren Innen- und Außenlagerringlaufflächen (5) und ( 8 ) fernzuhalten. Das berechnete Maß der elastische Verformung muß ganz exakt erreicht werden, damit das Lagerspiel auf 100ertstel mm genau stimmt.
. ist es zu groß, werden die Lager durch Schlackern der schweren Kurbelwelle infolge der heftigen Motorvibrationen mechanisch zerstört
- Ist es zu klein, laufen die Lager durch erhöhte Reibung heiß und die Laufflächen werden zusätzlich durch die zu hohe Flächenpressung rasch zerstört.
3. Hier scheidet sich bei der Sekundärtrieb-Wartung oder gar beim Aufbau eines Motors also wieder mal die Spreu vom Weizen, oder der Pfuscher vom erfahrenen, verantwortungsvollen Harleyschrauber, wie ich Euch anhand von Foto 4 noch einmal näher erläutern möchte.
4. Ihr versteht, denke ich doch, allmählich, weshalb der Sportstermotor die viel bessere Konstruktion ist, weil bei der dieser ganze motorgefährdende Wahnsinn beim trivialen Sekundärketten- oder Zahnriemenwechsel nicht nötig ist.
Foto 4: zeigt uns, wie genau beim Aufbau eines Motors an dieser Stelle gearbeitet werden muß. Als Bauteilsparbrötchen bauen Pfuscher die Situation von Foto 3 mit gebrauchten = in den Abmessungen vom Neuzustand abweichenden Teilen zusammen und könnten nur mit viel Erfahrung feststellen, ob sich die Kurbelwelle mit dem exakt richtigen Lagerspiel dreht, denn Messen des Lagerspiels geht hier in den Kegelrollenlagern und wegen mangelnder Zugänglichkeit (siehe Foto 3) nicht. Da das bei den ersten Malen nicht stimmen wird (zu fest oder zu lose), müssen wir alles wieder auseinanderbauen und über die in Foto (4) über dem Lagersitz zu sehende Bohrung den als Sprengring ausgeführten Distanzring (6) spannen, um ihm seitlich durch die Außenlagerringe ausfädeln zu können. Dann kommt je nachdem ein dickerer oder dünnerer rein. Man baut ein weiteres Mal zusammen und prüft wieder rein manuell nach Gefühl und Wellenschlag die Lagergängigkeit = das Lagerspiel. Ihr könnt Euch denken, daß diesen immensen Aufwand ganz sicher kein Pfuscher treibt. Der kloppt das ganze billig mit gebrauchten Teilen einmal zusammen und überlässt dem Kunden das Russisch Roulette - Spiel, ob die Festlager nach
20-30000 km platzen. Wir kaufen daher beim Aufbau grundsätzlich ab Werk genau vermessene Neuteile (Lager und Distanzringe). Bei Präevomotoren müssen wir notgedrungen wie ausnahmslos jede andere Werkstatt auch darauf vertrauen, daß die renommierten Zubehörlieferanten das schon richtig gemessen haben und die E-Module der Werkstoffe zu denen der Gehäuse und Wellen passen hinsichtlich des Erreichens der berechneten Verformungsmaße. Mit einmal mit korrektem Drehmoment angezogener Wellenmutter stimmt das Lagerspiel exakt und die ganze Rumprobiererei wurde eingespart.
Tipp: Bitte besteht beim Neuaufbau eines Motors an dieser Stelle unbedingt auf exakt vermessene Neuteile. Wenn bei neueren Baujahren ab Evo möglich, vom Motorenhersteller, weil der den E-Modul seiner Legierungen und damit die elastische Verformung seiner oben genannten Motorenteile genau kennt. Wie schon vorhin gesagt, haben wir die Erfahrung gemacht, daß sich S&S seit den 2010er Jahren die Rumprobiererei und/oder exakte Fertigung spart (eins von beiden wäre aber zumindest nötig) und lieber mit tendenziell zu großem Lagerspiel zusammenbaut, was die Lebensdauer der Lager auf die besagten
20-30000 km begrenzt. Harley selbst ging bei Twincam in Richtung möglichst exakter Fertigung und geht zur Ersparnis der kostenintensiven Rumprobiererei (Zusammen - Probieren - Auseinander - dickere oder dünnere Rollen - Zusammen - Probieren - ...) auch tendenziell in Richtung zu großes Lagerspiel, weswegen je nach Fertigungsgenauigkeit TC´s mehr oder weniger rau laufen. Nur die kostenintensive Rumprobiererei erlaubt die optimalen Ergebnisse, weswegen der Rest der Motorradwelt (BMW seit 69, Japaner seit 80) ausnahmslos auf Gleitlager setzt, deren Lagerspiel man mit Plasticgauge mit eingebauten Lagerzapfen ziemlich exakt messen kann.
Foto 5 zeigt den simplen zylindrische Außenring des rechten Zylinderollenlagers, das die Lagerung des rechten Kurbelwellenhauptlagerzapfens als Loslager darstellt. Bei Durchbiegung der Kurbelwelle durch Kolbenmassenkräfte in den Totpunkten oder durch Verbrennungsgaskräfte wird die Kurbelwelle am linken Hauptlagerzapfen also exakt geführt und kann ihre durch elastische Durchbiegung und Verdrillung erzeugte Längenänderung ungehindert und damit ohne Spannungsspitzen durch Hin- und Herschieben des rechten Hauptlagerzapfens im Zylinderollenlager freisetzen. Wie weiter oben schon gezeigt, hat der Panhead noch zwei solcher primitiven Loslager links und rechts , die durch Anlaufscheiben im Kurbelgehäuse geführt sind. So etwas nennt der Techniker "Stützlagerung". Die Nachteile habe ich schon weiter oben gebracht.
Foto 6: Und die Einbausituation im Motor (hier Evo) mit seiner klassischen vertikalen Trennfuge sieht so aus. Gut zu sehen die beiden Kegelrollenlager (3) und (9) des linken Festlagers. Der Distanzring zwischen den inneren Lagerschalen heißt in Foto 2 (7), hier (4) , der Sicherungsring in Foto 2 wie auch hier (6) , der , wie oben besprochen, die äußeren Lagerschalen, hier (5) und (7) genannt, positioniert.