Helmtechnik
Kopfjäger?
Von Markus Lehner
02.09.2011 13:47:27
Ein Helm ist ein Helm. Denkste! Die Unterschiede sind gewaltig. Nicht nur im Preis. Doch der Kopf, der drinsteckt, ist immer gleich verletzlich.
Wenn Grand-Prix-Stars wie der Spanier Dani Pedrosa (siehe Bild) oder der Schweizer DominiqueAegerter die Kontrolle über ihre Hightech-Bikes verlieren und mit ihren Arai-Helmen unkontrolliert auf den Asphalt krachen, gibt es für den renommierten japanischen Kopfschutz-Hersteller wieder wertvolle Daten zum Auswerten. «Es tönt vielleicht etwas sarkastisch», erklärt Eelco vanBeek, Verkaufsleiter bei Arai Europe in Amsterdam, «aber Pedrosa ist zurzeit unser bester Testfahrer. Er ist in den letzten Jahren einige Male und bei sehr hohen Tempi heftig gestürzt. Wir haben dadurch wertvolles Anschauungsmaterial erhalten.»
Für Karbon ist es noch zu früh
Arai gehört zu den Premium-Marken im Helmgeschäft. Kopfschützer des in dritter Generation von der Arai-Familie geleiteten und in 44 Ländern vertretenen Privatunternehmens kosten von 500 Franken an aufwärts. Für die Formel 1 hat Arai sogar einen Karbonhelm für mehr als 5000 Franken produziert. «Doch Karbon ist noch nicht reif für die Grossserie» winkt van Beek ab. «Wegen der mangelnden Flexibiliät muss mit Dutzenden von unterschiedlich aufgebauten Schichten, Kevlar-Zusätzen und einer hochkomplexenund langwierigen Fertigungsstruktur gearbeitet werden. Dazu kommt, dass diese ganz speziellen und teuren Karbonelastomere derzeit fast alle von Airbus für die Flugzeugfertigung des A380 aufgekauft werden.»
Auf dem Lattenrost schlafen
Damit ist für van Beek und Arai klar, dass die Helme der Zukunft von der Mittelklasse an aufwärts weiterhin aus komplexen Fiberglaslaminat- Strukturen für die Aussenschalen und ebenso hochentwickelten Polystyrol-Konstruktionen mit verschiedenen Festigkeiten für die Innenschalen bestehen werden. «Billighelme bestehen oft aus ziemlichweichen, leichten und dünnen Plastikaussenschalen, kombiniert mit harten und schweren Polystyrol- Innenschalen», erklärt van Beek. «Der Laie sieht von aussen nichts, aber der Schutzfaktor ist in mehrfacher Hinsicht um ein Vielfaches geringer. Das ist so, als würden Sie in Ihrem Bett auf dem Lattenrost mit der Bettdecke darunter schlafen.» Van Beek fügt an: «Es ist ja logisch, dass ein Helm für 80 Franken nicht dasselbe kann wie ein zehn Mal teureres Produkt. Aber dann sollte man dem Käufer vielleicht auch mitteilen, dass man zwar den Helm, aber nicht den Kopf ersetzen kann.» Während der Grossteil der Helm-Weltproduktion heute aus China stammt, werden sämtliche Arai-Helme weiterhin in Japan produziert. «Das ist für die Arai-Familie eine Frage der Ethik», erklärt vanBeek.«Wir wollen keine unter Umständen mit Kinderarbeit oder unter Missachtung anderer menschlicher Grundwerte produzierten Helme verkaufen. Hinzu kommt, dass die Prüfungen der in China produzierten Helme zumTeil unmöglich sind oder zumTeil katastrophale Resultate zeigten.»
ECE-Prüfung eine Lachnummer?
Beim Thema Prüfung kommt van Beek, der seit zwölf Jahren bei Arai Europa das Sagen hat, erst richtig in Fahrt. Insbesondere, wenn dasThema Prüfnorm ECE 22.05 auf denTisch kommt. «Das ist in verschiedener Beziehung eine Lachnummer. Es wird nur das absolute Minimum geprüft. Die Stossdämpfung wird mittels Falltest an wenigen fixierten Punkten und jeweils nur mit einem einzigen Aufprall mit wenig Kraft kontrolliert.Wir haben diverse Teile aus einem Helm herausgeschnitten, er hat den Test problemlos bestanden! Dann geht es noch um die Grösse des Gesichtsfeldes, den Durchdringungswiderstand beim Visier, die Belastbarkeit des Kinnriemens inklusive Verschluss, die UV-Verträglichkeit sowie das Abstreif- undWärmeverhalten.» Van Beek ärgert sich, dass der früher in der Norm 22.04 enthaltene Penetrationstest gestrichen wurde. «Ein krasser Fehler, denn bei einemAufprall etwaauf die Fussraste kann die Durchdringung tödliche Folgen haben. Da haben sich ganz klar die Billig-Plastikhelm-Hersteller durchgesetzt.» Doch das ist leider noch nicht alles. «Das Verrückteste ist, dass ein Helmmodell, wenn es einmal ECE-homologiert ist, in den weiteren Serien vom Hersteller selbst geprüft werden darf.Theoretischmüsste das für alle 3200 Helme pro Modell geschehen. Ob sie zum Beispiel in China die erforderlichen Prüfapparaturen haben und auch nutzen, lässt sich nur sehr schwer kontrollieren. Und bestraft worden ist meinesWissens noch niemand.»
Wildwest-Methoden im Helmsektor
Ins Schwärmen kommt van Beek jedoch, wenn die in den USA verwendete Snell-Methode ins Spiel kommt (zusätzlich zum mit der ECE-Norm vergleichbaren DOT-Siegel). «Da werden x-beliebige Punkte auf dem Helm gemessen, dazu mehrfach an derselben Stelle und mit mehr Kraft. Dazu gibt’s einen Penetrationstest und noch ein paar andere Dinge. Arai lässt freiwillig alle Helme auch gemäss dem Snell-Test prüfen.» Gar nichts mehr hält der Helmspezialist vom britischen Sharp-Test. «Anfangs war das interessant und vergleichbar mit dem Snell-Test. Aber unter dem Einfluss gewisser Hersteller wurden alle kniffligen Punkte gestrichen; die Unterschiede zur ECE 22.05 sind gering.» Van Beek verspricht sich wenig von einer neuen ECE-Norm 22.06. «Die Hersteller produzieren ja schon fast alle in China, unter welchen Bedingungen auch immer. Solange die Helme nicht regelmässig bei uns geprüft werden können, werden die Wildwest-Methoden in der Helmbranche andauern. Das ist nicht nur schade, sondern wird in einigen Fällen auch tragische Folgen haben.»
Prüfe, wer sich bindet
Nur nach der ECE-Norm 22.05 geprüfte Helme dürfen bei uns über den Kopf gestülpt werden. Ein je nach Marke im Helminnern oder auf dem Kinnriemen platziertes Etikett garantiert die korrekte Prüfung des Kopfschutzes. Das Zeichen «E1», «E2» oder «E5» benennt das Prüfland (E1 ist zum Beispiel Deutschland). Die Zahlenschlange sollte mit 05 beginnen; diese beiden Ziffern stehen für die Prüfnorm ECE 22.05. Sollte bei einem neuen Helm etwas anderes als 05 stehen – Vorsicht! Dann wäre der Helm älter als fünf Jahre, was unter den renommierten Herstellern als Verfalldatum eines Helms gilt. Die restlichen Zahlen beziehen sich auf das homologierte Modell, das P für den Kinnschutz (Jet-Helme haben ein NP, weil sie diesen Test konstruktionsbedingt nicht bestehen können).
Noch ein paar Verbraucher-Tipps
Die Herstellergarantie erstreckt sich bei den renommierten Marken über fünf Jahre. Wer dann den Helm wechselt, tut das Richtige.
Sieht man am Fiberglashelm nach einem Sturz eine rosarote Schürfstelle, muss er geprüft werden. Sieht man Gelb – wegwerfen!
Leise Helme gibt es nicht. Zusätzliche Schaumstoffeinlagen im Ohrenbereich dämpfen Resonanzen. Auch Ohrenstöpsel und Halskrausen aus dem Kart-Sport helfen.
Bei richtiger Passform sind die Unfallfolgen bis zu 60 Prozent geringer. Insbesondere Frauen kaufen Helme meistens zu gross. Bei Zweifeln vomFachhandel beraten lassen!
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"die einen kennen mich und die anderen können mich!"