...Der Rudi hatte einen Ruf zu verlieren. Wir hatten nach Plan genau 10 Minuten Vorsprung. Dann würde die nächste Gruppe starten. Es gab festgelegte Treffpunkte. Das waren entweder irgendwelche Lokale, in denen die Guides dann natürlich kostenfrei davon kamen, oder aber Tankstellen.
Die 10 Minuten wurden manchmal nicht so ganz genau eingehalten. Es lief immer auch ein kleiner Wettkampf zwischen den Guides. Wer die zuvor gestartete Gruppe fahrend einholen konnte, der war eben der bessere Guide.
Rudi war ein alter Hase. In dieser Gegend aufgewachsen und in mehreren Jahren als Guide und Hobbyracer mehr als nur kampferprobt, kannte er jeden Schleichpfad und sämtliche Abkürzungen in Tirol und den angrenzenden Gebieten.
Deshalb kam es eben nur und ausschließlich auf die Gruppe an. Dranbleiben war die Devise … immer dranbleiben. Mehr wurde nicht verlangt. Mehr geht auch normalerweise nicht.
Rudi zog direkt mächtig am Kabel. Auf nassen Straßen bin ich eigentlich auch eher vorsichtiger, trotz meiner EXPs. Die sollen ja bei Nässe besonders gut sein, im direkten Vergleich mit anderen Reifen.
Mag schon sein, aber ich bin bei Nässe nicht so besonders gut. Wahrscheinlich sogar deutlich schlechter als meine Reifen.
Nicht etwa, dass ich dann auf geraden Strecken schleichen würde, aber meine Kniepads würden nicht nass werden, wenn ich denn welche hätte.
Dietmar ließ den Rudi deutlich davon ziehen. Charly dümpelte sogar noch weiter hinten. Rolf blieb tapfer hinter mir und die CB 1300 war überhaupt nicht mehr zu sehen. Den beiden Banditen schien die Feuchtigkeit nichts auszumachen. Die zogen mit einer ordentlichen Gischtfontäne an allen vorbei und setzten sich an die Spitze. Ich blieb bei meinem Tempo.
Im Regen entwickele ich nur ganz wenig Ehrgeiz. Die Kuh ist schließlich kein Rennboot. Wenn im Rückspiegel keiner mehr zu erkennen ist, dann muss schließlich auch der Führende ein wenig vom Gas gehen.
Sollte man meinen.
Aber die Bandits verschwanden auch so langsam aus meinem Sichtbereich.
Ich sah schon die Schlagzeile: Hausfrau auf alter Suzuki Bandit zeigt erfahrenen GS-Fahrern, wo der Hammer hängt!
Soweit durfte man es nicht kommen lassen. Ich winkte Rolf eifrig zu und unsere Kühe mutierten dann auch so langsam zu Seekühen.
Auf trockener Straße kann jeder schnell fahren. Der Grenzbereich der Reifen war noch lange nicht in Sicht, aber die Bandits dann doch wieder.
Rudi war wohl ein wenig langsamer geworden.
Freies Fahren war bei der Alpen-Express-Week nicht vorgesehen. Solche Spielchen gab es nur bei den normalen Touren. Die erste Passhöhe konnte Rudi dann noch im Halbschlaf nehmen. Alle Anderen mussten sich aber ordentlich konzentrieren. Auf der Höhe stoppte er dann und winkte uns zusammen.
„Seits noch net röchtg woch…oda wohs“, wollte er dann wissen. Er deutete in die Ferne. Dort war blauer Himmel zu erkennen, die Regenwolken zogen in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Uns erwartete anscheinend deutlich besseres Wetter.
„Kummts … raas aus die Gummihäut.. und dann.. aufi gähts!“
Rolf hatte sich schnell ein Kippe ins Gesicht gesteckt und saugte daran wie ein hungriger Säugling an der Mutterbrust.
Rudi hockte bereits wieder auf seinem Rennboot und hatte es offensichtlich eilig.
„Sind wir hier im Urlaub oder auf der Flucht?“, nörgelte Thomas herum und pellte sich aus seiner Regenhülle.
Die beiden Bandits hatten bereits ihren neuen Platz in der Startaufstellung eingenommen und spielten mit dem Gasgriff. Charly und Dietmar hockten auf ihren Kisten wie zwei schlafende Kanarienvögel auf der Stange. Die Flügel angeklappt und die Köpfe nach unten.
Ich flitzte schnell rüber um sie ein wenig zu motivieren.
„ Kommt Jungs, nu aber … in einer Stunde gibt’s Frühstück“, vermutete ich mal heimtückisch aber überzeugend.
Charly starrte mich mit geröteten Augen an und schüttelte sich zurecht.
Rudi hupte.
Hupen bedeutet immer … Gentlemen starts your engine.
Rolf stand neben meiner Gelben und stopfte seine Regenkombi in meinen Tankrucksack. Nu aber, hopp!
Rudi rollte los und die Suzukis sofort hinterher wie zwei eifrige Schäferhunde.
Bergab war es noch ein wenig feucht aber die ersten trockenen Stellen ließen deutliche Besserung erahnen.
Wir nahmen Kurs auf die Felsenhöhe.
Wir erinnern uns kurz … Rolfs Lieblingsstrecke. Der war auch schon ganz aufgeregt und hatte sich schon mal direkt hinter die Suzukis gesetzt.
Als wir dann kurze Zeit später die erste Sprintstrecke vor dem langen Aufstieg erreichten, drängelte ich mich sicherheitshalber dazwischen.
Mein Freund hatte die GS noch nicht so richtig im Griff, und bevor er sich hier die Ohren abfuhr … wollte ich ihm doch noch ein wenig zur Hand gehen.
Rudi schoss sofort ab, als ob ihm der Leibhaftige am Nummernschild kleben würde.
Die Bandits schienen überrascht und schalteten nicht sofort in den Gefechtsmodus. Ich hatte bereits die erforderliche Drehzahl anliegen und ließ die Kuh fliegen. Bei 6.500 Umdrehungen klingt ein offener Zach echt bedrohlich. Ob es nun das war, oder der irrsinnige Rolf, der schon wieder mal sein Vorderrad nicht auf dem Boden halten konnte, was auch immer, die Bandits hatten wir kalt erwischt und direkt auf die Plätze verwiesen.
Das war jetzt eine Sache zwischen drei technisch gleichwertigen Gegnern.
Zumindest was das Material anging.
Bei der Erstürmung der Felsenhöhe hat man keine Gelegenheit in den Rückspiegel zu schauen. Dafür ist die Strecke zu eng und die Kurven wechseln zu schnell. Auch der Belag dieser Nebenstraße weist oft größere Defekte auf.
Da ist volle Konzentration angesagt.
Rudi war nicht zu packen. Der ließ die Kuh um die Ecken tanzen, dass es einem beim Hinterherfahren noch schwindelig wurde.
Der hatte auch noch Straßenreifen und die Räder von der R1200S drauf.
Die Ösis dürfen das nämlich.
Aber wahrscheinlich oder trotzdem, ich hätte ihn auch im Originalzustand nicht gepackt. Aber dranbleiben war möglich. Auf solchen Strecken fühle ich mich ausgesprochen wohl. Da kann eine GS all ihre konstruktiven Vorteile ausspielen.
Wechselnder schlechter Belag, enge und teils steile Wechselkurven und nur kurze gerade Abschnitte. Da kriegen die typischen Straßensportler lange Zähne ... und definitiv keine Schnitte.
Die Sache mit Rolf und seiner Harley war allerdings noch mal eine Nummer für sich. Die kann natürlich einer GS hier nicht das Wasser reichen, aber wenn der Typ vor dir, die Bude geschickt zumacht, dann ist Schicht im Schacht. Dann kommt man nicht vorbei ohne den eigenen A ... zu riskieren.
Natürlich fährt auch niemand den eigenen Kumpel in Grund und Boden und sich noch dazu. Soweit geht die Freundschaft dann doch noch.
Aber Spaß muss sein und deshalb kann man ja gelegentlich wenigstens mal so tun als ob.
Rolf hätte es sicher auch versucht, aber dazu reichte es noch nicht.
Da fehlten ihm doch noch gute 10.000 km Erfahrung. Mindestens!
Wo es rauf geht, da geht es auch wieder runter. Auch diesmal ist keiner oben geblieben. Unten war dann auch die erste Pausenstation.
So eine ortsübliche Holzbude. Geschnitzte Balkone und was die hiesigen Alpenarchitekten sonst noch für typisch hielten.
Rolf benötigte dringend Nikotin und die Anderen einen Kaffee. Rudi blickte auf seine Uhr und war sich ziemlich sicher, dass wir unseren Vorsprung ausgebaut hatten. Sonst schien er keine Sorgen zu haben.
„ Mittog moch mer aufm Gletscher“. Das sollte wohl diejenigen, die das Frühstück versäumt hatten, von der Bestellung umfangreicherer Mahlzeiten abhalten. Mit Gletscher war der Kaunertaler Gletscher gemeint. Eine ideale Wettkampfstrecke. Mautpflichtig zwar, aber die Strecke war das Geld wert.
Wir hatten eine gute Viertelstunde, bevor die Gruppe von Walter eintraf. Das war dann auch das Zeichen für unseren Aufbruch und wir machten uns dann wieder auf den Weg.
Ein bisschen über die Dörfer, vorbei an Feld, Wald und Wiesen und immer hinter Rudi her. Der überholte zügig alles, was vier Räder hatte und wir waren vollauf damit beschäftigt den Burschen nicht aus den Augen zu verlieren.
Teufel, Teufel … der legte echt ein Tempo vor, dass einem die Augen tränten.
Walter hatte über mehrere Ecken einen Draht zur Verkehrspolizei. Am Abend vorher erfuhr er immer, wo am nächsten Tag mit Geschwindigkeitskontrollen zu rechnen war. Diese Bereiche wurden dann nach Möglichkeit umgangen oder aber die Guides waren dort vorsichtiger. An diesem Tag hatten die Kontrolleure wohl einen planmäßigen Betriebsausflug. Rudi übte jedenfalls Tiefflug auf der Landstraße. Rainer schien es aber immer noch nicht schnell genug zu gehen, er tauchte mit seiner R1 immer wieder vorne auf, um sich dann wieder zurückfallen zu lassen.
Das war wohl sein Ding. Harmlose Autofahrer erschrecken.
Die Kaunertaler Gletscherstraße ist ein echtes Highlight. Da kann man sich dann gegenseitig die Butter vom Brot kratzen. Abgesehen von ein paar Reisebussen gibt es dort keine natürlichen Hindernisse. Freie Bahn für freie Biker. Die letzten Kilometer vor dem Gipfel sind die Besten. Schöne Spitzkehren und eine breite Fahrbahn.
Den Bandits geht in diesen Höhen allerdings die Luft aus. Jedenfalls den älteren Modellen. Der R1 ging jedenfalls nicht die Luft aus und deshalb kann man da auch nichts machen. Rainer wurde Etappensieger, aber einen richtig großen Vorsprung konnte er auch nicht herausfahren.
Man muss eben auch gönnen können.