zum zitierten Beitrag
Zitat von Asgar
@Claus68
Ja, das meine ich ja.
Sehe halt keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Aufbau des Motorradgetriebes und des Autogetriebes in den Videos.
Die Räder drehen ständig leer auf der Abtriebswelle, und erst die Schaltmuffen/klauen stellen den Kraftschluss her.
OK, ich Klär das jetzt mal insoweit auf, wie ich die Sache kenne.
Das Schieberadgetriebe ist bei Motorrädern 1954 mit den Dreiganggetrieben von Indian ausgestorben. Harley hat seit 36 wie BMW und alle Autos der 30er ein Schaltklauengetriebe, bei Harley und BMW ab 36 mit 4 Gängen. Wie der Name schon sagt, wird hier mit Klauen und nicht mehr mit Schiebezahnrädern geschaltet, ganz einfach, weil bei zwei sich ineinanderschiebenden Klauen (eine am Zahnrad, eine an der Welle) gleichzeitig ALLE Klauen Kraft zu übertragen beginnen und nicht jeweils nur EIN Zahn der ineinandergeschobenen Zahnräder, der durch den Ruck infolge des Drehzahlunterschiedes und des daraus entstehenden Verdrehmomentes infolge der Drehmassenträgheit der Zahnräder unweigerlich früher oder später abbrechen muss, ein typisches Problem der archaischen Schieberadgetriebe von Indian-alt.
Bei Autos hat der amerikanische Zulieferer Borg Warner m.W. ab 1938 vor die Klauen kleine Kupplungen geschaltet, im Volksmund "Synchronringe" genannt, die erst die Drehzahl der ineinanderzuschiebenden Klauen angleichen. Dabei verdrehen sie sich um einen definierten Weg und blockieren durch einen Mechanismus (je nach Hersteller unterschiedlich) das Weiterschieben der Klaue. Wenn die Drehzahl angeglichen ist, entfällt das Verdrehmoment infolge des Drehzahlunterschiedes und der Synchronring gibt das Vorschieben der Klaue frei, die sich in die Gegenklaue schieben lässt. Dieser Synchronisiervorgang dauert naturgemäß seine Zeit, was man beim Auto schön daran merkt, dass der Schalthebel eine Zeitlang blockiert ist , bevor man ihn bis an den Anschlag (Klauen greifen ineinander) schieben kann. Stärkerer Druck auf den Schalthebel presst die Synchronringe stärker aufeinander, was die Synchronisierzeit verkürzt, die Lebensdauer der Synchronringe aber auch
. Beim Motorrad
- wird diese Synchronisier-Zeit als zu gefährlich angesehen, da hier der Gang, notfalls unter Krachen, sofort drin sein muss
- ist infolge der im Vergleich zum Auto kleinen Zahnräder die Drehmasse der Zahnräder so klein, dass der Verschleiß durch "Krachen" sich im Rahmen hält
- ist nicht genug Platz, um das durch die an jedem Gang angebrachten Synchronringe deutlich verlängerte Getriebe unterzubringen, schon gar nicht bei mehr als 4 Gängen
- wird daher von Anfang an bis heute nichtsynchronisiert (= ohne Synchronringe) geschaltet, was ein Schalten ohne Kuppeln erlaubt, da hier keine Synchronringe verglühen können.
Um diese Synchronisierzeit zu sparen, wird bei echten Rennwagengetrieben trotz der hohen Drehmassenträgkheit der Zahnräder bis heute auf Synchronringe verzichtet, man kann vor dem nächsten Rennen ja ein neues Getriebe einbauen. Für die Volldeppen nennt man die Schaltklauen heute "dogring", als wär das was völlig Neues, obwohl lediglich die Form der Klauen der altbekannten Schaltklauen etwas optimiert wurde
. Aber bei einem Anglizismus klingt eine simple Formoptimierung ja so schön spacig nach nie dagewesenem Hightech
Das bedeutet allerdings, dass man bei Motorrad und Rennwagen die Drehzahlangleichung der Klauen selber per Gefühl vornehmen muss. Beim hochschalten noch relativ einfach , weil man da durch Zündunterbrechung (ohne ist bekloppt
) die Drehzahl der motorgetriebenen Klaue (ohne Zündunterbrechung dann halt mit geschlossenem Gasgriff) solange abfallen lässt, bis der Druck auf den Schalthebel die hinterradgetriebene Klaue bei Drehzahlgleichheit in die vordere gleiten lässt (oder umgekehrt). Ihr merkt hier schon, dieser wegen des Abwartens der Drehzahlangleichung und ihrer Unterstützung durch Reibung an der Klauenfront notwendige längere Druck auf den Schalthebel erzeugt unsinnigen Verschleiß an den Schaltgabeln.
Fast unmöglich wird es beim Runterschalten, weil man da die Drehzahl der motorgetriebenen Klaue auf die der hinterradgetriebenen Klaue erhöhen müsste. Da hilft also kein Abwarten, man muss die Drehzahl aktiv finden.Das würde man nur hinkriegen, wenn man an jeder Klaue einen Drehzahlmesser (also bei 4 Gängen sage und schreibe 8 Drehzahlmesser) hätte und nur dann runterschaltet, wenn die beiden Drehzahlmesser der ineinanderzuschiebenden Klauen die gleiche Drehzahl haben. Die Elektronik kennt natürlich die Getriebeübersetzungen und kann sich aus dem Motor- und Tachosignal die Drehzahlen der jeweiligen ineinanderzuschiebenden Klauen ausrechnen und erhöht dann die Drehzahl der motorgetriebenen Klaue bis zur Drehzahlgleichheit (im Volksmund "Zwischengas" genanntt)
Wer das genausoschnell im Kopf ausrechnen kann, dem wünsche ich viel Spaß beim geräuschfreien Runterschalten ohne Kuppeln
Mein Beispiel von vorhin zum Runterschalten funktioniert so, dass ich den Motor auf Hohe Drehzahl bringe , dann mit dem Schalthebel die Klauenfronten aufeinanderdrücke und warte, bis der wiederabfallende Motor zufällig gerade Drehzahlgleichheit an den Klauen erzeugt. Das kann nur klappen, wenn ich die Drehzahl des Motors vorher ausreichend erhöht habe. Wie hoch ich mit der Drehzahl muss, weiß ich aber nicht, außer, ich bin ein Schnellrechengenie, denn während der Rechenzeit fallen die Drehzahlen von Motor- und hinterradgetriebener Klaue ja auch noch unterschiedlich schnell weiter ab! Für alle anderen gilt: Versuch und Irrtum.
Dieser Beitrag wurde schon 22 mal editiert, zum letzten mal von niterider am 30.06.2016 06:22.