Ich bin auch noch auf der Suche nach dem "Ding", was das Harley-Fahren ausmacht.
Bin nun doch schon seit einigen Jahren auf allen möglichen Motorrädern unterwegs, u.a. mit Zweitaktern, japanischen Vierzylindern, englischen Dreizylindern, italienischen Zweizylindern und österreichischen Einzylindern.
Jedes Motorrad hatte dabei seinen Reiz. Bis auf die Suzuki LS 650 mit 27 PS - die war einfach zu schwach auf der Brust und hatte ein Fahrwerk zum Davonlaufen. Obwohl sie ein sehr schönes Motorrad war.. Nach 6000 km hab ich sie eingetauscht, gegen eine offene FZR 1000 Exup *bäm*
Hab mich auf Motorrädern grün und blau geärgert (speziell auf den englischen), mir den Sack verbrannt (auch auf den englischen), mir blaue Flecken geholt (eh klar, auf den österreichischen Kampfeisen), die Knie zurechtgeschliffen (viva Italia), Stoppies, Wheelies und Drifts gefeiert (eh klar, auf den österreichischen Kampfeisen) und mich über eingeschlafene Körperteile gewundert (japanische Vielzylinder).
Ab und zu war ich auch gestresst unterwegs. Entweder als Jäger oder als Gejagter. Schneller höher hoch kommen, vor den anderen - oder zumindest nicht als Letzter. Da hat mans auf einer Hypersport-Ducati nicht so leicht, da wollen alle sehen, was man drauf hat *uff*
Irgendwann wurden meine Motorräder leichter - jedes Mal ein bisschen weniger Kilos. Rekord: die KTM LC4 625 SCSM mit knappen 120 kg. Die konnte man zur Not auch das Stilfserjoch hochtragen, wenns zum Fahren nicht mehr gereicht hat..
Und dann kam mein Weib und sagte: "mag nicht mehr auf den Ducati-Höcker klettern und meinen Helm gegen Deinen knallen. Ausserdem ist mir das Ding zu schnell. und zu schräg. Und auf der KTM hab ich sowieso nicht Platz. Wir brauchen ein Motorrad zum gemütlich irgendwo hintuckern, mit Gepäck und Urlaub und so. Such mal was.."
Also fand ich die Road King, verliebte mich auf der Stelle, holte sie im November 2014 nach Hause, deckte sie in der Garage zu und freute mich auf den Frühling. Jetzt eben hab ich ihr knapp 3000 km auf an die 40 Alpenpässen umgehängt, und hab mir mehrmals am Tag gedacht "endlich bin ich angekommen.."
Ja, das Ding ist schwer. Sackschwer. Morgens nach dem Frühstück hatte ich immer wieder Angst, das Ding aus der Garage zu schinden - wenn die umkippt, dann bebt die Erde. Ja, das Ding ist gross. Braucht Platz wie ein Auto, in manchen "Biker-Hotel-Garagen" droht die Gefahr des "ich muss leider draussen bleiben". Auf den Pässen parken ist auch immer so eine Geschichte gewesen.. die KTM Duke wirfst Du einfach irgendwo in ein Eck und holst sie nach der Pinkelpause an einem Lenkerende wieder raus - die Road King muss schon beim Ankommen richtig geparkt werden, weil auf 2800 m Meereshöhe schiebt kein Mensch mehr das Teil rückwärts berghoch auf die Fahrbahn :-)
Aber wenn ich dann im Leder sitze, die Füsse auf massivem Stahl niederlasse, die Arme ausbreite, in massive Metallhebel greife und ins Tal hinunter reite, der V2 unter mir poltert und schüttelt und die Trittbretter mit dem Berg das Lied vom Tod kreischen, dann ist mir der ganze Motorradfahrer-Biker-Stress Schnitzel - dann fühl ich mich lebendiger als auf der Supermoto mit den ganzen permanenten Nahtod-Erfahrungen, dann fühl ich mich ruhiger als auf der Ducati mit dem dauernden Kupplung-Schalten-Gasen-Knieschleifen, und ich bin frei von "nun fahr doch zu"-Vorwürfen der Hintermänner und "wo-bleibst-Du-denn"-Vorwürfen der Vorausfahrer.
Dafür beben am Ende meines Tages meine Eingeweide im Takt des 103ers, in den Ohren rauscht das Bollern aus den beiden Rohren und in der Nase wabert der Geruch von heissem Metal und dem einen oder anderem Ölspritzer auf dem Motorgehäuse.
Einfach geil ;-)
Griass - JvS
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Motorprosa • Geschichten aus der Kurve