Aber das Grauen ist noch nicht zu Ende. Der dicke Hammer kommt mit der Kurbelwellenlagerung:
Das das keine Originalharleylager sind, sieht wohl jeder, der auch nur diesen Fred von vorne bis hinten gelesen hat. Kugellager mit Käfig gab´s an Harley-Kurbelwellen noch nie. Das sind irgendwelche Industriekugellager mit deutlich größerem Durchmesser des Aussenringes. Dafür haben unsere südamerikanischen Motoren"instandsetzer" anscheinend die Lagersitze
Fotos 1+2: ... in den Gehäusehälften links
Foto 3 : ... und rechts aufgebohrt. Damit ist das wertvollste an so einem Oldtimer, die größten Gussgehäuse, Schrott
Fotos 4+5 : Wahrscheinlich wurden sie von unseren südamerikanischen Motorenspezialisten mit der Massgabe ausgewählt, mit dem Durchmesser ihrer Innenringe saugend auf die Original-Harley-Hauptzapfen der Kurbelwelle zu passen.
Foto 6: Da ist es fast schon Nebensache, dass das Primärkettenritzelgewinde ausgenudelt ist. Das ist ein üblicher Schaden eines 70 Jahre alten Motors, wenn das Sekundärritzel (!) alle 10000 km gewechselt werden muss. Wir hatten ja schon weiter vorne, dass dafür jedesmal der ganze Primärtrieb abmuss, was die Gewinde auf dem linkem Kurbelwellenhauptzapfen und Getriebehauptwelle über Gebühr verschleißt. Der Hauptgrund, warum Harley-Big Twins mit Sekundärkette grundsätzlich NICHT alltagstauglich sind, außer man hat viel Zeit und /oder Geld. In der Regel haben solche Besitzer ein alltagstaugliches Zweitmotorrad
.
Der Kunde ist geschockt und beginnt zu erahnen, das es doch so keine gute Idee war, dieses in der Tat ganz seltene Stück , also dieeeeee einzigartige Gelegenheit, wo man sofort zuschlagen muss, ohne unser Zutun beschaffen zu lassen. Die Kurbelgehäusehälften eines Big Flatty sind so ungefähr die blaue Mauritius unter den Harley-Motorgehäusen, da ist selbst für die viel länger viel mehr gebauten Vorgänger - J-Modelle einfacher Ersatz zu beschaffen. Die Big Flatties waren, wie vorne schon geschrieben, Arbeitstiere, die kein Zivilist haben wollte und die daher ausnahmslos von der Zielgruppe, für die sie gedacht waren, dem öffentlichen Dienst, runtergerissen wurde. Das ist ungefähr so, als wollte man einen 40er-Jahre-LKW restaurieren. Daher gibt's auch keinerlei Nachgüsse von Motorgussteilen, weder bei S&S noch sonstwo, im klaren unterschied zur kleinen WL!. Wer früher (bis Ende 50er) Leistung steigern wollte oder später (in den 60ern bis 80ern) einen antiken Chopper bauen wollte oder heute restaurieren (lassen) will, greift zum Knucklehead, der, wie wir aus diesem Fred wissen, in der gleichen Plattform wie der Big Flatty montiert wurde und deswegen die exakt gleichen Anschlußmasse hat. Man könnte also noch einen S&S-Knucklehead in diese Plattform stecken. Das war es aber nicht, was unser Kunde für seine Raritätensammlung wollte. Der Kunde konstatiert einen wirtschaftlichen Totalschaden, presst gerade noch so heraus, dass wir das Ding ohne weitere Instandsetzung gerade wieder so zusammenstecken sollen und ward seitdem nicht mehr gesehen. Welcher erfolgreiche Businessman, der immer alles Griff hatte, steht auch gerne ohne wenn und aber ganz offensichtlich verarscht (hier vor uns) da. Er konnte uns nicht mal irgendeine Schuld dafür geben.
Also, was haben wir hier eigentlich? Was lehrt uns diese ganze Geschichte mit dem roten Projekt? Ich würde sagen:
"Augen auf beim Oldtimerkauf aus 2te oder gar 3te Welt-Ländern"
An sich ist dieser traurige innere (!) Zustand bei dieser Herkunft eher die Regel als die Ausnahme. Die Big Flatty war die ersten 30 Jahre ihres Lebens im öffentlichen Dienst, und wurde da schon gnadenlos geschrubbt,wie die plattgequetschten Rahmenunterzüge weiter vorn im Fred eindrucksvoll zeigen. Nur ein Harleyrahmen bleibt bei solchen Deformationen masshaltig
. Dann wurde sie am Beginn der zweiten 30 Jahre ihres Lebens von Zivilisten günstig mit vieeeeeelen Meilen auf dem Tacho ersteigert, weil die sich keinen neuen Engländer leisten konnten (damals sehr beliebt in Südamerika, da gibt's einen schönen Film über die politische Erweckung von Che Guevara auf einer Rundfahrt mit einer Norton durch Südamerika). Besserverdienende konnten sich nach dem Exitus der Engländer in den 70ern einen neuen Honda-Einzylinder aus dem Werk Manaus am Amazonas leisten. Arme fuhren solche Big Flatties, weil die so konstruiert sind, daß sie möglichst einfach in viele kleine Einzelgehäuseteile zerlegbar sind und alle Verschleißteile separat aus den Gehäusen und von den Kurbelwellenzapfen demontierbar sind. Bei einer technisch machbaren Laufleistung von 25000 Meilen bis zur Generalüberholung ein Muß, um diese Konstruktion verkaufen zu können. Eine Honda muß mit ihren waagrecht geteilten nur 2 Gehäuseteilen nach extrem kostengünstiger deutscher Schule in alle Einzelteile auseinandergerupft werden, um ein Pfennigteil auszutauschen, und als Beispiel die traditionell ohne Lagerschalen direkt im Guss der Lagerböcke laufende Nockenwelle macht den Zylinderkopf zum Wegwerfteil. Trotz relativ hoher möglicher Laufleistungen war so etwas unreparierbares für arme 2te Welt Leute finanziell völlig unakzeptabel, da holten sie sich lieber einen solchen Harley-Zombie, dem sie ohne Erwerb auch nur eines Originalersatzteiles mit ihrer Maschinenbauimprovisationskunst a´la Ostzone in ihren Slumwerkstätten 9 Leben einhauchen konnten, während die Honda nach nur einem (zugegeben längeren) Leben bereits Kernschrott war. Falls unsere Zivilisation zusammenbricht, sollten sich Prepper also einen Oldtimer holen
In den 90ern kam dann in Europa, gefolgt (schwächer) von Amiland, die große Oldtimerwelle, getrieben von frischgedrucktem Investorengeld, welches dringendst Anlageobjekte suchte. Das erklärt, warum einzelne teure äußere Teile, wie der äusserst aufwendige alte Harleybenzinhahn mit Betätigung quer durch den Tank - offensichtlich ein kostspieliger Nachbau - verbaut sind. In diesem dritten Lebenszyklus ging es in einem neuen Geschäftsmodell darum, diesen völlig vermurksten aber seltenen Motor durch ein paar teure Neuteile und eine frische Lackierung einem wohlhabenden Europäer anzudrehen.
Eigentlich muß fast jede alte Flatheadharley aus der 2ten Welt (ausser Original WLA aus dem Ostblock) fast zwangsläufig so eine Geschichte haben. Ich hoffe sehr, dass das dem einen oder anderen Interessenten zur Warnung, uns übrigen eher zur Erbauung dient
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Verheiz Deine Reifen, nicht Deine Seele!
Dieser Beitrag wurde schon 1 mal editiert, zum letzten mal von motorcycle boy am 06.09.2018 21:43.