Wie gesagt, jetzt beginnt die Wartezeit auf die wiedereintrudelnden oder bestellten Teile. Wenn ich zu Zylinderkopf oder Getriebezerlegung komme, berichte ich natürlich. Um die Wartezeit zu überbrücken, philosophieren wir noch ein bisschen über die Hintergründe der Harleykonstruktionen, die uns hier beim Zerlegen doch einige Fragezeichen ins Gesicht gezaubert haben. Wie schon bei der Schmierung kann man das Ganze wohl nur historisch gewachsen verstehen, einfach weil die Davidsons eigentlich aus Schottland stammen und Schotten nun mal für Ihr sprichwörtliches Kostenbewusstsein bekannt sind. Eine Konstruktion, die für viel Geld entwickelt wurde und sich bewährt hat, wirft man nicht so einfach über Bord, auch wenn sie in der weiteren Evolution benachbarter Bauteile zunehmend zu schrägen Anpassungen zwingt.
Fangen wir einfach mit den Zylinderköpfen an:
Fotos 2 + 4 zeigen übrigens einen Zylinderkopf unserer Early Shovel. Da es in der Halle, in der er vermoderte, zwischenzeitlich mal gebrannt hat, haben sich die Russflocken wohl in die klebrige Ölkruste eingefressen . Die silbrigen Lackteile sind ja völlig blank geblieben.
Foto 1: Der Stammvater aller Harley-Bigtwin-Zylinderköpfe war der Knucklehead ab 1936. Hier sieht man deutlich, dass der angelsächsische Konstrukteur Bill Harley sich bei der Lagerung der Achsen der Kipphebel irgendwie nicht zwischen " deutscher Schule" ( Vordergrund, Zündkerzenseite = in Fahrtrichtung links ) und angelsächsischer Schule ( Hintergrund, in Fahrtrichtung rechts ) entscheiden konnte. Dazu muss man wissen, dass bei der deutschen Schule die Lagerböcke direkt am Zylinderkopf angegossen werden, was natürlich eine viel bewusstere = kompliziertere Zylinderkopfgestaltung als bei der angelsächsischen Schule erfordert, wo die Lagerböcke gleich zu einem ganzen separaten Gehäuse, eben der "Rockerbox" mit Lagerbohrung für die Kipphebelachsen erweitert werden, das man irgendwo, wo gerade Platz ist, am Zylinderkopf anschrauben kann, ohne sich selbst einen großen Kopf machen zu müssen. Die Kipphebel heißen auf englisch Rockerarm, daher heißt ihr separates Gehäuse Rockerbox. Ob daher wohl der nur in England und Deutschland gebräuchliche Begriff " Rocker" für 1% er kommt, weil die eben im Unterschied zu den Zweitaktroller fahrend " Modernists" = Mods nur Viertaktmotoräder fahren, die zu jener Zeit fast alle Kipphebel, eben " Rockerarms" hatten?
Jedenfalls muss man Bill Harley ein großes Lob aussprechen: wie bei beispielsweise BMW bis R 51/2 hat er die Lagerböcke Belastungsgerecht gestaltet, nämlich schräg von unten innen nach oben außen ( zum Bildrand). Das zeigt bildlich die Belastung der Lagerböcke an, Wenn die Stösselstangen in der Mitte hochkommen und das Innere Kipphebelende hochdrücken, kippt der Kipphebel schräg genau rechtwinklig zu den Lagerböcken nach außen , um mit seinem äußeren Ende die Äußerst Kräftige Ventilfeder zusammenzudrücken ( wer es schonmal probiert hat: ist mit der Hand kaum zusammenzudrücken ). Das heißt, die gegenhaltende Kipphebelachse drückt die Lagerböcke nach schräg oben zum jeweiligen Bildrand genau in der Richtung, wie Bill Harley sie gestaltet hat. Damit hat er erreicht, dass sie ausschließlich auf Zug belastet werden, im Unterschied zu den BMW R51/3 und Pan - Lagerböcken die, weil rechtwinklig auf dem Zylinderkopf angeschraubt, zusätzlich zum Bildrand hin auf Biegung belastet werden und deswegen an der Innenseite irgendwann Ermüdungsbrüche kriegen und die Ventlsteuerzeiten und -öffnungsquerschnitte durch das Hochstemmen der Kipphebelachsen verschlechtert werden.
Warum hat dann Harley in der ersten Zylinderkopfgeneration nach Bill Harley , dem Pan, ganz auf die teure deutsche Schule gesetzt? Tja, liebe V-Twin-Freunde, Harley überlegte ab 1945 ernsthaft, komplett auf Boxermotorräder a la BMW umzustellen, weil 4 Entwicklungsstränge zusammenkamen:
1. Der alliierte Kontrollrat hatte Deutschland auf unbestimmte Zeit den Bau von Motorrädern über 125 ccm verboten, also hätte man keine peinliche Konkurrenz durch das Original, zudem Billiger, zu befürchten .
2. Außerdem hatte der alliierte Kontrollrat alle deutschen Patente im Werte von 10 Milliarden $ beschlagnahmt, und uns davon sage und schreibe 1,4 Milliarden $ als Marshallplan zur Aufbauhilfe wieder zurückgegeben. Soviel zu der Propaganda, ohne die Amerikaner wäre das deutsche Wirtschaftswunder nicht möglich gewesen. Harley sicherte sich dabei kostenlos die Konstruktionszeichnungen und Rechte für BMW-Boxer und die DKW Reichstyp 125, die beiden erfolgreichsten und modernsten Hightechmotorräder ihrer Zeit, ohne die kostspielige Entwicklung bezahlen zu müssen. Den DKW-Blockmotor deutscher Schule finden wir dann in der Sportster wieder. Den DKW-Tank namens "Blutblase" (wegen seiner ursprünglich roten Farbe und seiner für stecktankgewöhnte Betrachter 1930 sehr ungewöhnlichen Form, zudem m.W. erstmalig bei einem Motorrad oben auf dem Rahmenrückratrohr der DKW SB200 montiert, von der ihn die Reichstyp 125 übernahm) finden wir ab 1958 bis zur heutigen fortyeight gleichfalls an der Sportster wieder. Für eine 125er reichte sein Volumen ja auch völlig aus ...
3. Die Werkzeugmaschinen zur Produktion des BMW-Boxers waren bis auf die OHV-Zylinderköpfe vorhanden, da man ja während des WKII eine Nullserie von 1000 XA's = Raubkopien des BMW-Flathead-Boxers im Auftrag des Pentagon gefertigt hatte, weil die partout eine Kardanmaschine wollten. Der Meinungsumschwung zur technisch eindeutig unterlegenen WLA kam erst, als Harley die Preise kalkuliert hatte: Für eine WLA sollte das Pentagon 370$ zahlen, für eine XA Stolze 840$, weil ein Boxermotor nämlich die teuerste Motorbauart ist (deswegen gibt es nur so wenige Auto- und Motorradtypen mit Boxermotoren) und ein VTwin die billigste ( Technik eines Einzylinders mit zweitem Zylinder huckepack). Die Differenz (ein weiterer Grund war der teure Kardan samt Kegelradgetriebe) reichte für sämtliche Ersatzketten einer WLA für den gesamten WKII aus.
4. Die zu entlassenden Soldaten bekamen ein Entlassungsgeld, das für den Kauf einer ausgemusterteten US-Army-WLA, teilweise nagelneu, ausreichte. Also brach für Harley und Indian der Umsatz dramatisch ein. Man glaubte, Kunden nur noch mit völlig abweichenden und überlegenen Konzepten zum Neukaufen bewegen zu können. Übrigens, weil kaum einer der Heimkehrer LUst hatte, olivgrün mit Klappspaten -, Kanister - und Gewehrhalterung rumzufahren, entstand die Umbauerszene in Kalifornien, wo die ganzen Heimkehrer des Pazifikkrieges anlandeten und wo sie wegen dem ganzjährigen Motorradwetter als Motorradfreaks gleich hängen blieben. Zu diesen WLA-Billig-Abstaubern aus US-Army-Beständen gehörte auch der junge Sonny B. aus O., dessen voller Name hier im Forum nicht genannt werden darf
Warum blieb man nun doch beim VTwin? Wahrscheinlich wegen des erheblichen Produktionskostenunterschiedes. Da man die neuen Zylinderköpfe a la BMW nun schon mal aufwendig konstruiert und die teuren Gussformen erzeugt hatte, pflanzte man diese modernen Zylinderköpfe auf den Knuckleheadrumpfmotor und der Pan war geboren. Leider hatte der nun auch die rechtwinklig angeschraubten Lagerböcke der Wehrmachts-BMW R75, die eben mit der Zeit auf der Innenseite ausrissen. Da man Hydrostößeln genommen hatte, war der Hauptvorteil der deutschen Schule obsolet: die hervorragende Zugänglichkeit der Kipphebel von allen Seiten zur einfachen Einstellbarkeit der Ventile und Reparatur der Kipphebel etc., weil man die komplette Ventilhaube wie beim Auto abheben konnte.
Wieder einmal, wie bei der Trockensumpfschmierung , hatte man also was kopiert, ohne die Überlegungen des Konstrukteurs verstanden zu haben.
Foto 2: Weil man sich den kostspieligen Ärger mit den Panhead-Zylinderköpfen und deren Produktionskosten ohne Nutzbarkeit von deren Vorteilen wohl nicht mehr leisten wollte, machte man eine konstruktive 180Grad - Kehrtwende weg von der deutschen Schule und kehrte zur angelsächsischen Schule, also zur zur Rockerbox zurück, die sich als viel kostengünstiger bei der Sportster schon bewährt hatte. Um das seitliche Auseinanderdrücken der beiden Rockerboxen für Aus-und Einlassventil unter Ventilfederdruck zu verhindern, verband man diese mit einem massiven Versteifungsbügel, dem sogenannten " Shovel" (am oberen Bildrand), von den Motorradfahrern so genannt wegen seiner Ähnlichkeit zu der Form amerikanischer Kohlenschaufeln. Leider ließ man aber die zweite Versteifungsrippe in Fahrtrichtung links, also auf der Zündkerzenseite (am unteren Bildrand) weg, mit dem Erfolg, dass sich die Rockerboxen unter Ventilfederdruck nach links (zum linken Bildrand) und rechts (zum rechten Bildrand) in Richtung Zündkerze (am unteren Bildrand) zunehmend verwinden. All das tut weder der Öldichtigkeit (die Rockerbox wird von ihrer Auflagefläche auf dem Zylinderkopf hochgestemmt) noch den Steuerzeiten gut (durch das Hochstemmen wird der Abstand von Kipphebelachse zur Nockenspitze größer und das Ventil geht nicht so weit auf).
Foto 3: Das Hochstemmen erstreckt sich leider trotz Versteifungsrippe auch auf auf die rechte, die "Shovel"Seite, weil die Versteifungsrippe nur von einem dünnen Bolzem in der Mitte (am unteren Bildrand) gehalten wird.
Foto 4: Die in die Rockerbox integrierten Lagerböcke hängen biegefreudig links und rechts frei in der Luft
Foto 5+6: Deswegen integrierte Porsche die Kipphebellagerböcke in einem massiven Rechteckrahmen = mit Versteifungsrippe am in Fahrtrichtung rechten UND linken Ende (Foto 6: hier bei ner Sporty) und verschraubte den zweifach, also lagerbocknah, (Foto 5) auch an einem Anguss rechts am Zylinderkopf, damit der Abstand zur Nockenspitze immer konstant bleibt: der Evo ist geboren!