Heute möchte ich mich mit der Wechselwirkung zwischen Stößelführung und Gehäuseguß beschäftigen. Im übrigen Forum sind es ja diese Wechselwirkungen, die den Laien so schwer eingängig zu sein scheinen. Hinzu kommen noch persönliche Befindlichkeiten "ich will hier nicht als Depp dastehen, der Scheixx gekauft hat". Das wird dann als "Beschimpfung der Marke" verschleiert. Hier in dieser Ecke sind wir Techniker (hoffe ich doch) unter uns
und können die technischen Entscheidungen von Harley und deren (teils ungewollte) Auswirkungen diskutieren und den verschleiernden Marketing-Sprechblasen gegenüberstellen
, ohne dass sich einer persönlich auf den Schlips
getreten fühlt.
Meine Theorie: Mit dem Wechsel vom Evo zum Twin Cam wollte Harley endlich wenigstens einen Teil der hohen Produktionskosten des archaischen Knucklehead-Konzeptes loswerden und in einigen produktionskostenrelevanten Konstruktionsdetails endlich die Rationalisierungen der Konkurrenz übernehmen, die den Japaner schon seit den 60ern zu enormen Produktionskostenvorteilen und auch damit möglichen Kampfpreisen verhalfen. Den Entfall des Breathervalves ab TC, der mit zunehmender Hubraumerhöhung bis zur M8 mit 117 cui die Gefahr des Öltransfers und des Sumping erhöht, habe ich schon in den entsprechenden Freds thematisiert. Eine saubere technische Diskussion wurde durch emotionale Befindlichkeiten der Käufer leider unmöglich.
Hier möchte ich nun die These diskutieren, dass der Auslöser für die Verdopplung der Nockenwellen beim TC die Reduktion der Produktionskosten durch Weglassung der separaten Lifterblöcke (Stösselführungen) war. Diese hatten bis zum Evo hin eine enorm große Reparaturfreundlichkeit durch Austauschbarkeit bei Verschleiß oder Beschädigung ermöglicht, was die jahrzehntelange Inbetriebhaltung von Harley-Motoren gegenüber der Konkurrenz und damit ihre Beliebtheit bei Customizern und in der zweiten Welt (Kuba, Südamerika) erklärt.
Foto 1: Ich hatte nie Gelegenheit, an J-Motoren zu schrauben, man erahnt aber, dass hier Stößelführungen mit Sechskanten an ihrem Bund in das bröselige Sandgussgehäuse geschraubt sind. Bis zu den 60ern war Sandguß das einzige Gußverfahren. Hier wird die Modellgussform aus Holz ("Modelltischler") oder Metall erzeugt und nasser Sand drumherumgeformt (heute ist das natürlich eine Spezialflüssigkeit in Quarzsand). Wie beim Sandburgenbau am Strand härtet der durch Erhitzung so stark aus, dass man die Modellgussform entnehmen und flüssiges Metall reingiessen kann. Je komlizierter die Modellgussform, desto schwieriger wird es, die ausreichende Festigkeit des zu fertigenden Gußgehäuses sicherzustellen, da das flüssige Metall ja nur durch die Schwerkraft in die "letzte Ritze" des Hohlraums, den die Modellgussform im Sand gebildet hat, läuft und ausserdem durch "Steiger"-Röhrchen auch noch die Luft vor sich her aus der Form schieben muß. Daher haben klassische Sandgußgehäuse an allen Stellen, wo bewegte Teile mit Kraft reiben, Gußeisen- oder Stahleinsätze eingeschraubt oder eingepresst, wie hier die Lifterblöcke (Stösselführungen).
Foto 2: Hier bei einer Seitenventil-"R" aus den frühen 30ern, noch durch Gusseisenzylinderdeckel gekennzeichnet, hat Bill Harley das bis zum Ende des Evo gültige Konstruktionsprinzip der Befestigung der Lifterblöcke über einen angegossenen Flansch mit zwei (!) Schrauben am Aluminiummotorgehäuse eingeführt (die allererste Sportyvorfahrin, die"D" von 1929, wird das wohl auch schon so gehabt haben).
Foto 3: Baut man diese Seitenventillifterblöcke, hier von einer "W", aus, sieht man die Rollen der Stössel, die bis zum Ende des Ironhead 1985 nicht mehr verändert wurden. Der angegossene Halterungsflansch für zwei (!!!) Schrauben im obersten Drittel ist gut zu erkennen.
Foto 4: In der zeitgenössischen Automobilindustrie fertigte man die Motorblöcke komplett aus Gusseisen und konnte so auf eingeschraubte separate Lifterblöcke aus Gusseisen verzichten. Die Stösselführungen sind hier direkt in den Motorblock gebohrt. Da Gusseisen eine Eisenlegierung mit soviel Kohlenstoff ist, dass der nicht komplett in Lösung gehen kann, bildet der überschüssige Kohlenstoff im eisen Bänder , "Lamellen"-graphit genannt, oder mit speziellen Legierungszusätzen "Kugel"-graphit. Wie jeder von der Bleistiftmine weiß, schmiert dieses Graphit ausserordentlich gut, sodass es sogar auf rauhem Papier gleitet. Daher werden Zylinderlaufbuchsen und Stößelführungen traditioneller Machart aus Gusseisen gefertigt. Einen schweren Gusseisenmotorblock kann man sich in einem zu geringem Gewicht verurteilten Fahrzeug wie dem Motorrad oder gar einem Flugzeug nicht erlauben, hier wurden schon immer Aluminiumgehäuse genommen, in die die kraftbeaufschlagten Gleitflächen dann kostenintensiv in solchen separaten Gusseisengehäusen eingebaut werden mussten.
Foto 5: Nachdem Bill Harley tot war, hatten seine Nachfolger schon die Produktionskosteneinsparung im Auge und reduzierten den Flansch der aus den Seitenventilern hervorgegangenen Shovelheadsporties auf eine (!!!) Schraubverbindung. Flansche mit einer Schraube sind Murks, wie auch die zeitgenössischen Auspuffkrümmerflansche an den Zylinderköpfen der Big-Twin-Shovelheads zeigen. Wir sind im Zeitalter der Harley-Murks-Konstruktionen angekommen.
Foto 6 zeigt den Alumotorblock der Ironhead-Sporty mit ausgebauten ...
Foto7: ... Lifterblöcken.
Foto 8: Das gleiche Prinzip finden wir bei den Big-Twins von Knuckle bis Evo. Hier analog das Sandgussgehäuse eines Pan mit ausgebauten ...
Foto 9: ... Lifterblöcken, denen man hier die vier Flanschschrauben von Bill Harley zwangsläufig lassen mußte, weil durch die Schiefstellung der Stösselstangen infolge der einsamen Nockenwelle die Querkräfte der Stössel auf die Lifterblöcke für eine oder zwei Schraube wohl zu gross geworden wären. Die Sporty-Lifterblöcke aus Foto 7 zeigen also mit ihrer einsamen, aber hinreichenden Flanschschraube anschaulich die geringen Querkräfte der Stößel, da alle Sporty-Nocken in einer Reihe stehen.
Foto 10: Hier sieht man sehr gut die absolute Flucht der Sporty-Stößelstangen mit den Stößeln in beiden Ebenen. Daher reichte eine Flanschschraube an den 4 Lifterblöcken. Diese Flucht = Winkelfreiheit läßt die Stössel ohne Querkraft durch Ventilfedern in den Lifterblöcken gleiten, was neben Reduzierung von Verschleiß und Reibungsverlust auch die Durchbiegung der Stösselstangen bei hohen Drehzahlen reduziert und damit den Sporty-Ventiltrieb erheblich drehzahlfester macht. Nicht erzeugen kann die einsame Flanschschraube natürlich eine gleichmäßige Anpresskraft auf die Flachdichtung des Flansches zwischen Lifterblock und Alugehäuse, weshalb Ironheads hier immer ölen.
Und was natürlich auch klar ist: Ganz Null können die Querkräfte auf die Stößel nicht werden, denn durch die bogenförmige Bewegung des Kipphebelendes macht die Stösselstange eine leichte Schwenkbewegung, die sich in pulsierenden Querkräften von Stößel auf Lifterblock auswirkt. Bei der Sporty ist das aber auf das absolute Minimum reduziert.