zum zitierten Beitrag
Zitat von giap
Alte Menschen mögen die alten Sporties …. Beide sind nicht mehr lange da
Wie alt bist Du denn? Wenn ich mir so ansehe, was Du fährst, diesem Spruch zufolge doch mindesten 80, denn der durchschnittliche männliche Deutsche stirbt mit 85
Da bin ich dann doch immerhin satte 20 Jahre jünger als Du und berichte Dir mal meine Eindrücke von uns Jüngeren:
Komischerweise erlebe ich das in der Grossstadtszene von Frankfurt genau andersherum: Die Hipster-Szene zwischen 20 und 40 baut gerne alte echte Motorräder um und ist von dem neuen Technik-Zeuchs angewidert. Das ist nur was für saturierte Ü50‘s, weswegen das hightechigste Hightech-Segment, die Supersportler, mittlerweile auf dem Weltmarkt nur noch 50 % des Umsatzes von 2008 erreicht und damit mittlerweile ein Schatten seiner selbst ist. Irgendwo klar, alte Menschen sind von den leistungs- und hightechgeilen 70ern und 80ern geprägt und daher stirbt das Supersportsegment mit ihnen wegen ihrer altersbedingten Gebrechen am schnellsten aus. Tourer werden sich da aus rein biologischen Gründen noch etwas länger halten. Heutige junge Menschen sind nicht mehr karriere- und Leistungsgeil per se, sondern legen größten Wert auf „Work - Life - Balance“ und kündigen auch einfach mal, wenn der Arbeitgeber 20.Jahrhundert-Stress macht. Daher sind sie vom archaischen höher-schneller-weiter-teurer- Gerangel der Ü50-Generation in Beruf wie Hobbie (Motorrad) nur noch befremdet, wie es auch die neue „Sportster“S verkörpert. Genauer habe ich das im Eingang des „Quo vadis …“-Freds beschrieben.
Wenn Du mal junge Motorradfahrer in Massen sehen willst, dann geh nicht auf die synthetischen Harley-Events, wo die saturierten Ü50‘s im eigenen Saft schmoren und sich im 20.Jahrhundert-Stil gegenseitig ihren sozialen Status mit ihren Neuerwerbungen dokumentieren, sondern geh nach Corona mal auf Markenfreie Events, wo der Bär tobt:
Wheels and Waves in Biarritz
Ace Café in London
Norrtälje in Schweden
Da wirst Du sehen, dass Du mit der neuesten Indian Scout, „Sportster“ S, BMW S1000 RR oder schweren Tourern bestenfalls fröhliches Gelächter, bestimmt aber Befremden auslöst. Die Events sind komplett Tourer- und Supersport- und damit alte-Männer-Motorräder frei. Dafür werden Alte Männer bewundert, die auf einem richtig hippen Starrahmenchopper oder einer Norton Commando oder langhubigen Triumph Bonneville mit Primärkette und Öltank unterm Sitz (wie heute nur noch die Sporty!!!) auf eigener Achse angereist sind. Das hat auch der Thunderbike-Chef kapiert und ist beim letzten Wheels and Waves vor Corona auf einem Shovel-Starrahmen und mit seiner Twen - Tochter (!!!) auf einer Sporty - beide auf eigener Achse (!!!) - angereist. Leute, dass sind die Trends bei den jungen Motorradfahrern der Welt, nicht angeberisch von seiner Anfahrt auf einem Tourensofa oder mit der S1000RR auf dem Hänger prahlen. Nicht umsonst hat diese Szene mit dem ACE Café mittlerweile Dependancen in Orlando, Florida, in Barcelona und in Beijing(!!!!). Die haben das Ohr am Herz der Jugend. Mit der altbackenen „Sportster“ S im Stil von extrapolierter 20.-Jahrhundert-Denke wird Harley bei den U40ern keinen Stich machen.
Daher kann ich mich nur wundern, was die HD-Marketingabteilung unter Levatich geritten hat, zu glauben, dieses - unbestrittene - Hightech-Etwas würde junge hippe Leute ansprechen, und das noch bei diesem Ü50-Preis. Die Sporty 883 vor ABS kostete unter (!!!) 9000€, dass war ein höchst erfolgreiches junge-Leute-Angebot. Die Sporty ist durch die Preisinflation seither ohne echten Mehrwert (auf ABS legt außerhalb „DACH“ mit seiner weltbekannten „German Angst“ niemand Wert und nimmt daher auch keiner als Mehrwert war) in ihren Zulassungszahlen künstlich abgewürgt worden. Die hätten das Lifewire Entwicklungsbudget in die Sporty stecken sollen. Ein höchst erfolgreiches Vorbild, wie man es richtig macht, gibt es seit 2016: Die Triumph-Zweizylinder. Sehen täuschend ähnlich aus wie Bj 36 bis 66, erfüllen aber modernste Anforderungen. Das ist natürlich viel aufwendiger zu entwickeln als so ein beziehungsloses High-Tech-Etwas. Da steckt im Unterschied zur „Sportster“ S richtig Gehirnschmalz drin, muss ich doch moderne Technik in ein klassisches Gewand hüllen. Da ist schon der extrem schmale nahezu unsichtbare Hochkantkühler viel durchdachter als das entsprechend lieblos breit quer vor die „Sportster“ S gepappte Harley-Kühlergeschwulst, von der liebevollen Motorgestaltung der Triumph mit aufwendigst sanft gerundeten Kühlrippen und im Getriebecover verstecktem Kühlwsserausgleichsbehälter ganz zu schweigen. Der außerordentliche Erfolg der Triumph-Zweizylinder-Baureihe (ihre erfolgreichste insgesamt gegenüber ihrem ganzen altbackenen Hightechgeschwuchtel) auf dem Weltmarkt hätte der HD-Marketingabteilung bei der Verfassung des Lastenheftes der neuen Sportster doch zu denken geben sollen. Auch in USA hat gerade die Dyna eine riesige jugendliche Fangemeinde, HD hätte sich also nicht unbedingt nur in Europa inspirieren lassen müssen, und was gute Marketingabteilungen sonst machen, sich auch mal über die soziale Entwicklung der Gesellschaft Gedanken machen sollen. Nicht die Fans der klassischen Sporties und Dynas sind Ü50, sondern die, die sich Harleys in der gegenwärtigen Preiskategorie kaufen können, sind eine aussterbende Gesellschaftsschicht Ü50. Die Massen an jungen Sporty- und Dyna-Fans versorgen sich am Gebrauchtmarkt, wie selbst Dir das kontinuierliche Anziehen der Preise verdeutlichen dürfte, und auch die Neuanmeldungen hier im Forum sollten Dir doch eigentlich beweisen, das junge Leute alte Sporties und Dynas cool finden. Wenn sie die uncool und ewig gestrig finden würden, würden sie alte Japaner oder so fahren.
Und hier stolz zu berichten, schon 2 „Sportster“ S wären vom örtlichen Freundlichen verkauft, kann doch wohl als „Erfolgsmeldung“ nicht Euer Ernst sein. Schon mal was von „Early Adopters“ gehört? Wenn nicht, das sind die landläufig auch „Poser“ Genannten, die jeden unausgereiften Mist kaufen, Hauptsache sie können damit prahlen, das „ Neueste“ zu haben. Denen ist doch völlig egal, was und wie das ist. Der Industrie sind das die liebsten Kunden, aber auch die weiß, dass deren Anzahl begrenzt ist und dass man daher den nachhaltigen Erfolg eines Produktes erst nach 2Jahren beurteilen kann, wenn es den Posern nicht mehr „neu“ genug ist. Insofern sagen auch die gegenwärtigen Erfolge der R18 überhaupt nichts aus, und BMW weiß das auch ganz genau.
Ich bin sicher, Zeitz weiß das alles auch ganz genau, hat die in der Lifewire versenkten Entwicklungsbudgets aber schlicht so vorgefunden und ist mit dem Auftrag angetreten, die Gesamtschuldenbelastung nicht weiter zu erhöhen. Da musste er aus der gerade fertig entwickelten Plattform für neue Käuferkreise , die auch nur wieder Ü50‘s anspricht, wie zuvor geschrieben, in der Not eine Nachfolge für die Sportster ableiten, obwohl er genau weiß, dass die junge Leute überhaupt nicht anspricht, wie er von Events wie „Born Free“ - analog zu den oben Genannten in Europa bei LA - sicher von seinen Emissären berichtet bekommt. An seiner Strategie sieht man, dass er sich längst damit abgefunden hat. Zukünftig will er nur noch die kleine solvente Zielgruppe der „oberen 10000“ und vielleicht noch die der „jungen Aufsteiger“ direkt darunter mit einem „Rolls Royce-Image“ („wird erst im Kundenauftrag gefertigt“) ansprechen, die sich in der nahen Zukunft Harleys der bisherigen oder noch höherer Preiskategorien leisten kann. Die aktuellen Ü50er stammen hingegen aus der sozialgeschichtlich erst in der geschichtlich einzigartigen Sonderkonjunktur nach dem WKII („Wirtschaftswunder“) erstmalig in die Lage versetzten Mittelschicht, sich solche Luxusgüter zu kaufen. Der größte Teil der Mittelschicht der klassischen Industrienationen steigt seit der Globalisierung ab 1990 kontinuierlich in die Unterschicht ab und fähige Marketingabteilungen berücksichtigen bei der Neukonzeption eines Produktes sehr genau, ob sie dieser breiten Masse ein Angebot machen wollen. Das aus diesen Angeboten optisch und technisch in individualistischer Weise herausstechende Angebot seit 1990 waren Sporty und RE Bullet. Levatich hat die Zukunft der Sporty in den Sand gesetzt und Zeitz holt aus der neuen Plattform so viel Kohle wie möglich raus, indem er den Ü50ern (!!!) mit der „Sportster“S ein Placebo-Angebot macht, bis auch der letzte von denen mit durchschnittlich 70 aufhört, Motorrad zu fahren.
Sozialgeschichtlich ist die Sonderkonjunktur nach WKII mit den Ü50ern zu Ende und es kehren wieder gesellschaftlich „normale“ Zeiten ein. Das haben die Jungen besser verstanden als Du denkst. In der sich wieder entwickelnden Feudalherrschaft (gerade auch in den USA) steigst Du durch „Networken“ auf, nicht durch Leistung. Deswegen befremdet die Jungen auch dieser Leistungsfetischismus der U50er so und Produkte wie die „Sportster“S, die diese in der heutigen Zeit fremdartige, völlig an der Realität vorbeigehende Denke verkörpern. Wozu 121 PS, wenn überall verkehrsregelungstechnisch die Schrauben immer härter angezogen werden? Und in der USA mit gestapomässig kontrollierten maximal „65“ sowieso völlig abstrus! Da war die klassische HD-Palette erheblich vernünftiger als die Konkurrenz. Aber das ist dank Levatich ja nun Geschichte. So ein Produkt wie die „Sportster“ S ist jedenfalls für junge Motorradfahrer irgendwie aus der Zeit gefallen, zumal viele ihrer FFF-Altersgenossen überhaupt keinen Führerschein mehr haben, individueller Verkehr ist heute - in der Grosstadt wohlgemerkt, wo aber auch der Wohlstand lebt - schon viel zu teuer oder zu unpraktisch. Motorradfahren wird wieder eine Szene-Angelegenheit wie in den Jahren vor 1980. Die Massenanbieter ziehen sich ja langsam aber unverkennbar aus dem Massenmarkt in den alten Industrienationen zurück. Das Angebot der Japaner ist heute nur noch ein Schatten des Angebots der 70er und 80er, und im Exclusiv-Markt haben sie nie Fuß fassen können. Da ist Ducati schon der allerjüngste. Genau das sind die Überlegungen von Zeitz.
Aus dem Desaster, das Levatich angerichtet hat, nun aber hier auch noch abzuleiten, das klassische Sportsterkonzept wäre nicht mehr erfolgreich, weil für alte Leute, heißt, das Opfer eines Managementversagens zum Verursacher zu erklären. Das das einfach eine Verdrehung von Ursache und Wirkung ist, zeigt der große Erfolg der Konkurrenz von Triumph und RE mit ihren neuen Zweizylindermotoren, und schon ein Besuch der o.g. Events zeigt, das die Wünsche der leidenschaftlichen jungen Motorradfaher und - Schrauber das Gegenteil dieses 20.-Jahrhundert-Denkens sind, das wiederum die neue „Sportster“S verkörpert.
Die PanAm ist hingegen genau richtig gegen die Gisela positioniert und wird Erfolg haben, weil sie einen konkurrenzfähigen Preis und innovative Details und den modernsten Motor des Segments hat. Dieses Segment hat aber eben die Ü50-Zielgruppe und gerade nicht junge Motorradfahrer, und wird mit diesen in ca. 20 Jahren ausgestorben sein.