Foto 1: Um die Zusammenhänge des Getriebelayouts nochmal klarer zu machen, habe ich ohne freundliche Erlaubnis ein Bild aus dem sehr empfehlenswerten Reprint des Buches von Kurt Mair "Das Kraftrad, Technik - Pflege - Reparaturen" von 1937 abfotografiert. Es handelt sich um ein typisches Getriebe angelsächsischer Schule, also mit dem gleichen Fahrrad-Layout wie bei Harleys Big Twins, allerdings von Rudge-Withworth, weil ich leider keine Harley-Zeichnung zur Verfügung habe. Bitte stört Euch nicht an der extrem aufwändigen "Doppelt-schräg-Verzahnung" der Zahnräder, weswegen die Gänge durch Verschiebung eines kompletten Zahnradpaares und nicht durch Schiebemuffen geschaltet werden müssen. Sonst ist der grundsätzliche Aufbau des Getriebes (nämlich das, was ich Euch zeigen will) gleich wie bei Harley. Harley und alle anderen bis Wasserboxer und TC hatten nur eine primitive Geradverzahnung, wie in den Bildern zuvor gut zu sehen.
Der Einfachheit nehme ich die im Bild verwendeten (Zahlen) zur Kennzeichnung der Einzelteile im Bild. Am besten macht Ihr Euch das Bild groß, damit Ihr die feinen Linien von den (Zahlen) zu "ihren" Bauteilen seht.
Im Unterschied zu Harley ist hier die Vorgelegewelle (10) in Fahrtrichtung hinten, also am unteren Bildrand. Darüber ist die Getriebehauptwelle (4) (die ehemalige Tretkurbelwelle) zu sehen, die auf ihrem Ende am linken Bildrand (also in Fahrtrichtung links), die Kupplung trägt. Auf dem Umfang des Kupplungskorbs sehen wir folgerichtig wie bei Harley die Zähne (1) des Primärkettenrades. Im Bild rechts daneben läuft auf der Hauptwelle wie seit 1903 bei Harley die Hohlwelle mit dem Sekundärritzel (13) auf gut sichtbaren Rollenlagern, die wiederum im Getriebe weiter rechts im Bild nur ein Zahnrad (14) trägt, was vom im Bild am meisten links sitzenden Zahnrad (um Rollenlager ( 8 ) herum) der Vorgelegewelle (10) angetrieben wird. Das ist übrigens im Foto 4 des vorherigen Posts das oberste Zahnrad! Die drei Zahnradpaare rechts daneben stellen die Gänge 1-3 (5), (6), (unbenannt) dar.
Um die Funktion nochmal allgemeinverständlich zusammenzufassen:
Das Drehmoment fließt von der Primärkette auf das Primärkettenrad=Kupplungskorb (1) über die daran befestigte Hauptwelle (4) oben im Bild wahlweise über einer der drei Zahnradpaare rechts im Bild [Gänge 1-3 (5), (6), (unbenannt)] auf die Vorgelegewelle (10) unten im Bild und von da über ein Zahnradpaar ( 8 ) wieder zurück auf die Hohlwelle Mitte Links auf der Hauptwelle, von der es über das Sekundärritzel (13) auf die Sekundärkette zum Hinterrad fließt.
Deswegen heißt die Vorgelegewelle auch so. Seit der Adler MB250 (natürlich aus Frankfurt am Main) fließt das Drehmoment von japanischen Motorradgetrieben von der Kupplung auf der "oberen" = im Fahrzeug vorderen Getriebeeingangswelle wahlweise über das Zahnradpaar des gewünschten Ganges auf die "untere" = hintere Getriebeausgangswelle, die deswegen so heißt, weil auf ihr das Sekundärritzel und damit die Kette zum Hinterrad befestigt ist. Wahlweise kann das ganze genau spiegelbildlich angeordnet sein. Großer Vorteil : die komplexe und schwer zu lagernde und abzudichtende Hohlwelle entfällt. Getriebeeingang und -ausgang sind entzerrt (Kettenwechsel). Wegen der Drehrichtungsumkehr im Getriebe brauchen wir auch einen Zahnradprimär zur Kompensierenden Drehrichtungsumkehr, sonst würde das Hinterrad falschrum drehen (das Motorrad nur rückwärts fahren). Harley hat beim Big-Twin also eine überaus kostspielige Vorkriegslösung (auch wegen solcher Lösungen ist Harley so teuer) beibehalten. Aber für diesen Oldtimercharme gegen den technisch gleichgeschalteten Mainstream lieben wir sie ja (solange die Technik problemlos und wartungsarm funktioniert. Das hat Porsche schon toll hingekriegt: eine Meisterleistung !)
Foto 2: Über den 4. Gang haben wir bisher im vorherigen Post nur kurz nebenbei bei der Besprechung von Haupt- und Vorgelegewelle gesprochen: Der wird geschaltet, indem ich mit einer Schiebemuffe oder wie hier bei Rudge-Withworth mit einem Schiebezahnrad die Hauptwelle direkt mit der Hohlwelle (im Foto aus dem Werkstatthandbuch mit (4) gekennzeichnet) verbinde. Das ist dann auch der einzige Vorteil der angelsächsischen Schule: ich habe damit, wie schon 1903, wieder direkt ohne Umwege über reibende und damit kräftezehrende Gangzahnräder, das Primärkettenrad direkt mit dem Sekundärritzel (3) verbunden, einer der drei Gründe, warum Harleys so erstaunlich wenig Sprit verbrauchen (Der zweite sind die kurzen Flammwege infolge der langhubigen Auslegung des Motors. Warum das Sprit spart , habe ich in meinen Posts im Thread "
Langhuber" erläutert . Den dritten, die komplette, reibungsarme Wälzlagerung der Kurbelwelle und Pleuelstangen, haben wir schon bei Betrachtung der Ölpumpen besprochen ).
Die Nachteile sind bereits in der Zeichnung gut zu erkennen:
Die Hohlwelle (4) (=Getriebeausgangswelle) muss sowohl mit ( 8 ) nach außen gegen das Getriebegehäuse und gleichzeitig mit (5) nach innen gegen die Hauptwelle (=die ehemalige Tretkurbelwelle) abgedichtet werden.
Beide Dichtungen verschleißen sehr schnell, weil die Hohlwelle aufgrund minderwertiger Lagerung nach innen mit einer archaischen, wegen Ölmangel schnell verschleißenden Bronzebuchse ( 15 ) (also wahnwitzigerweise ein Gleitlager ohne Druckölschmierung!!!) und nach außen mit einem käfiglosen (ja, wirklich, wie bei Fahrradtretlagern !!!) Zylinderrollenlager gelagert ist. Die losen Zylinderrollen sehen wir als (7), ab 1977 wurde tatsächlich ein Käfigrollenlager (7A) verwendet. Erst seit Evo ist die Bronzebuchse innen und die losen Rollen außen durch stabile Wälzlager ersetzt worden, die die Hohlwelle außen und die Hauptwelle innen so dauerhaft und präzise in Position halten, dass die Dichtungen auch dichten können. Von Knuckle bis Late Shovel war dieses Getriebe für seine dauerhaft nicht in den Griff zu kriegenden Lagerschäden und Ölverluste an dieser heiklen Stelle berüchtigt. Wie man im direkten Vergleich mit Foto 1 schön sieht, war das beim Rudge - Withworth -Getriebe schon 1930 mit stabilen Zylinderrollenlagern (2 innen zwischen Hohl- und Hauptwelle, eins außen zwischen Hohlwelle und Getriebegehäuse) statt Primitiver Bronzebuchse viel dauerhafter gelöst! Noch mal meine Hochachtung an Porsche, dass sie die archaische, und zudem von Harley besonders primitiv ausgeführte angelsächsische Konstruktion betriebssicher hingekriegt haben!!!
Fotos 3-5: Der historischen Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es in den 30ern auch deutsche Firmen gab, die sich für die angelsächsische Schule entschieden. Den Blockmotor gab es eh erst ab 1940 als Weltneuheit bei der DKW Reichstyp 125. . An vorderster Stelle NSU, hier als Beispiel eine OSL 501 von 1935, die ein Triebwerkslayout wie Harleys Big Twins hatte. (jeweils separates Getriebe links, Motor rechts).Wen wunderts, NSU hatte in den 30ern zeitweise den Chefingenieur von Norton, Walter William Moore abgeworben ...
Foto 6 zeigt der Vollständigkeit halber die Explosionszeichnung des Harley-Viergabgetriebes, die aber m.E. so ungünstig ist, dass sie eher zur Verwirrung als zur Erleuchtung beiträgt. Die beste Prinzipdarstellung ist m.E. Foto 1.